Skill-, Kultur- und Talentmanagement für hypervernetzte Unternehmen

Ein Merkmal digitaler Ökosysteme besteht darin, dass sich Technologien und Arbeitsmethoden extrem schnell verändern. Wenn man unter diesen Umständen erfolgreich sein will, ist ein effektives Skill- und Talentmanagement unerlässlich. Anastasia Wallner erläutert im Interview, wie sichergestellt wird, dass die Mitarbeitenden über die aktuellen und relevanten Fähigkeiten verfügen, mit den neuesten Entwicklungen Schritt halten und ihre Fähigkeit zur Durchführung von Innovationen beibehalten.

Skill Management – was sind die Anforderungen für die Zukunft?

Erfolgreiche digitale Ökosysteme müssen an sich ändernde Kundenpräferenzen und Marktbedingungen in hohem Maße anpassbar sein. Ein Verbrauchermarkt könnte sich zum Beispiel zum Ziel setzen, den CO2-Fußabdruck seiner Produkte für seine Kunden sichtbar zu machen. Um diese Informationen für alle Produkte und Vertriebskanäle auf effektive Weise umsetzen zu können, ist eine enge, agile Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Disziplinen wie CRM, SCM und Nachhaltigkeit erforderlich. Ein effektives Kompetenz- und Talentmanagement fördert daher die Bildung interdisziplinärer Teams, die auch über ein entsprechend breites Spektrum an Skills verfügen.

Das digitale Zeitalter erfordert generell viele Fähigkeiten. Was aber macht die Kompetenzbedarfe für digitale Ökosysteme und Hyperconnectivity noch spezieller?

Hypervernetzte Ökosysteme sind hochkomplex. Sie benötigen ein sehr breites Spektrum an Teamfähigkeiten, um technologischen Trends wie der künstlichen Intelligenz und der daraus resultierenden Automatisierung von Verwaltungsaufgaben folgen zu können. Sogenannte digitale‚
„T-shaped-Skills“ werden zunehmend wichtiger, d. h. immer mehr Arbeitnehmer sollten Fähigkeiten kombinieren, die sich innerhalb eines eng gesteckten Rahmens durch ein umfassendes technologisches Fachwissen auszeichnen, während andere Fähigkeiten allgemeiner sind, aber recht flexibel genutzt werden können. Im letzteren Fall sollten
Mitarbeitenden über grundlegende Kenntnisse darüber verfügen, wie sie KI und ihre digitalen Fähigkeiten verstärkt in ihre Arbeitsprozesse einbringen können. Insbesondere in den sich wandelnden, vielfältigen Szenarien der digitalen Ökosysteme sind Soft Skills ein wichtiger Schlüsselfaktor.

Haben Unternehmen überhaupt einen realistischen Überblick darüber, welche Skills vorhanden sind und welche digitalen Kompetenzen fehlen

Die meisten Unternehmen haben Schwierigkeiten, sich einen realistischen Überblick zu verschaffen. In vielen Fällen haben sie nicht den Überblick über die aktuellen Skills oder aktualisieren die relevanten Datenbanken nicht kontinuierlich. Oder es fehlt an einer strategischen Personal- und Kompetenzplanung, und es bleibt unklar, wie sie mit Innovationen und neuen Technologien umgehen wollen. Abhilfe kann mittels digital gestützter Skillmodelle geschaffen werden, in denen alle relevanten digitalen Kernkompetenzen in unterschiedlichen Kompetenzstufen unter Verwendung klarer Indikatoren beschrieben werden und auf gegenwärtigen und neu einzustellenden Mitarbeitenden abgebildet werden.

Unternehmen scheuen oft die scheinbar kostspielige Weiterbildung ihrer eigenen Mitarbeitenden und versuchen, Lücken durch die Einstellung externer Mitarbeiter zu schließen. Hat ein Unternehmen im Zeitalter der Hyperkonnektivität überhaupt eine Chance, wenn sich nicht genügend externe Mitarbeiter für das Unternehmen entscheiden?

Einerseits sind Methoden wie Umschulung und Fortbildung durchaus zeitaufwändig. Aber Learning Journeys können zum Beispiel sehr gut auf spezifische Bedürfnisse und Unternehmen abgestimmt werden. Bei ihrer Gestaltung können kollegiale Beratung/Peer-Consulting und Ausbildungsakademien als Alternative/Ergänzung zum Weg über die Personalabteilung genutzt werden.

Andererseits müssen sich die Unternehmen bei der Einstellung externer Mitarbeiter:innen auf den „War for Talent“ einlassen. Aus diesem Grund ist es erforderlich, dass Unternehmen zwischen internen und externen Einstellungen ein Gleichgewicht finden, um so eine neue, externe Sichtweise zu erlangen, die für den Status Quo eine Herausforderung sein kann. Bestimmtes Fachwissen ist nur außerhalb des Unternehmens zu finden, und dieses muss durch Schulungsgemeinschaften und eine möglichst große Anzahl von Formaten wie Videos, Podcasts oder gemeinsamen Lernchats weitergegeben werden.

Was sind die Merkmale erfolgreicher Anreizsysteme zur Gewinnung oder Bindung von Talenten?

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, das Anreizsystem aus einer generationenübergreifenden Perspektive zu betrachten. Gegenwärtig sehen wir eher eindimensionale Systeme, die für alle Generationen geeignet sind. Zum Beispiel Im Hinblick auf die Generation Z müssen Anreize die unterschiedlichen Erwartungen berücksichtigen, die sie an ihren Arbeitgeber stellen, z. B. Work-Life-Balance, psychische Gesundheit, flexible Arbeitszeiten und mehr Wertschätzung, die sich nicht nur auf Geld beschränkt.

Gibt es Beispiele für erfolgreiche Skill-Management-Programme?

Ja, die gibt es. Ad hoc fallen mir hierzu drei ein.

Deutsche Telekom Skills Up!

Integriertes System zur strategischen Personalplanung, Stellenarchitektur ist fest mit dem Skill Management verknüpft, Führungskräfte und Mitarbeitende können Kompetenzlücken erkennen und Qualifizierungsmaßnahmen einleiten, und mittels Software werden alle Phasen der Personalplanung vereinheitlicht.

Uniper – Digital Skills Compass

Dedizierte Learning Journeys für abteilungsspezifische Kompetenzmodelle, individueller Mix aus digitalen und analogen Lernformaten, Lernen und Austausch in themenspezifischen Communities, definierte Kompetenzstufen und Learning Journey Levels

Telco 2030 Skills

Detecon Skill Repository für Telco 2030 Skills mit Fokus auf digitalen, agilen und technischen Kompetenzen:

  • z. B. Automatisierung (Automatisierungsarchitekt, Cloud-Automatisierungsingenieur, Spezialist für Testautomatisierung, Entwickler für Robotik-Prozessautomatisierung)
  • Künstliche Intelligenz (KI-Datenanalyst, KI-Ingenieur, Datenarchitekt, KI-Entwickler, KI-Forscher
  • Datenanalyse (Data Steward, Business-Domain-Experte, Spezialist für Continuous Intelligence, Datenethiker)

Wichtig dafür ist auch, die Skill-Transparenz im Unternehmen mit eigenen, aktuellen Tools zu erhalten. So kann beispielsweise jeder Mitarbeiter für die Aktualisierung seiner Skills in seinem eigenen Profil verantwortlich sein. Hier gibt es KI-basierte Tools wie Eightfold, die automatisch Skills auf der Grundlage von LinkedIn-Profilen sammeln und noch weiterdenken, indem sie der Person Möglichkeiten zum Upskilling (Skill-basiertes Lernen) bieten. Im Grunde gibt es nur wenige Unternehmen, die hinsichtlich der Skills ihrer Mitarbeitenden über eine vollständige Transparenz verfügen. Dies würde jedoch helfen, Fortbildungen oder Schulungen individueller zu gestalten und eine bessere Ressourcenplanung darüber zu ermöglichen, wer genau benötigt wird und eingestellt werden sollte, oder sich intern entwickeln kann.

Die Hyperconnectivity schafft Verbindungen zwischen Mensch und Maschine in einer noch nie dagewesenen Geschwindigkeit. Warum also ist das Konzept des agilen Arbeitens so entscheidend für die Bindung von Talenten und die Unternehmenskultur?

Die Hyperconnectivity erzeugt eine sich stetig weiterentwickelnde Landschaft, in der sich die Marktanforderungen häufig und unvorhersehbar ändern. Agiles Arbeiten ermöglicht es Unternehmen, sich schnell an diese Veränderungen anzupassen. Durch die Förderung flexibler Strukturen und schneller Lernzyklen können agile Unternehmen schnell auf neue Trends, Kundenwünsche und technologische Veränderungen reagieren.

Durch die Aufteilung komplexer Projekte in kleinere, besser zu bewältigende Aufgaben kann der Einsatz agiler Methoden die Arbeit in kürzeren Zyklen ausführen, was zu einer schnelleren Markteinführung führt. Außerdem ermöglichen regelmäßige Feedback-Schleifen eine schnelle Anpassung. Drüber hinaus fördert agiles Arbeiten die bereichsübergreifende Zusammenarbeit, indem es Silos aufbricht und die Zusammenarbeit unterschiedlicher Skills ermöglicht. Indem man Einzelpersonen und Teams die Möglichkeit gibt zu experimentieren, kalkulierte Risiken einzugehen und aus Fehlern zu lernen, fördert agiles Arbeiten eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung und des unkonventionellen Denkens. Dies treibt Innovation und Wachstum voran, erhöht aber auch die Adaptionsfähigkeit und Resilienz angesichts von Veränderungen und Krisen.

Über welche Eigenschaften oder Regeln muss ein Unternehmen verfügen, um ein effizientes Skill- und Talent-Management überhaupt zu ermöglichen? Wie kann die Kultur eine positive Entwicklung fördern oder behindern?

Die Unternehmenskultur besteht aus gemeinsamen Werten, Überzeugungen, Verhaltensweisen und Praktiken, die bestimmen, wie die Menschen in einem Unternehmen miteinander umgehen und auf ihre gemeinsamen Ziele hinarbeiten. Insbesondere durch den Einsatz nachstehender Tools können positive Kulturveränderungen erreicht werden:

  • Engagement und Einsatz der Führungskräfte: z. B. durch eine offene und transparente Kommunikationskultur, Beteiligung an Teamaktivitäten, Vorbilder für Aktivitäten, Belohnungen für Innovationsaktivitäten oder soziales Engagement. 
  • Motivationssystem: z. B. durch öffentliche Anerkennung von Leistung, beruflichen Entwicklungswegen, Unterstützung für Teams und Mitbestimmungsrechte
  • Talententwicklungsprogramm und Entwicklungsmöglichkeiten: z. B. durch individuelle Entwicklungspläne, Coaching und Mentoring, variable Lernformate und E-Learning
  • Active Sourcing, Zusammenarbeit mit Universitäten (Ambassador-Programme), Stiftungen usw. (erhöht die Attraktivität auch intern)
  • High-Potential-Programme

Wie kann ein datengesteuertes Skill Management aussehen, d. h. Messdaten und Analysen des Schulungsbedarfs und -fortschritts aufzeigen?  

Die Unternehmen bewegen sich weg von der traditionellen Sichtweise des Near-/Offshoring hin zu einem Umdenken, das die Auswirkungen von KI und Automatisierung für die künftige Belegschaft berücksichtigt. Detecon bezeichnet diesen Trend als AI-Shoring. KI-gestützte Arbeit (im Gegensatz zu KI-ersetzter Arbeit) wird in Zukunft einen massiven Wandel der Arbeitsplätze bewirken.

Eine aktuelle Umfrage unter mehr als 300 Mitgliedsunternehmen der DGFP (Deutsche Gesellschaft für Personalführung) zeigt ebenfalls die zunehmende Bedeutung von KI:

  • Mehr als 90 % erwarten in den nächsten 3 bis 5 Jahren neue Stellenprofile und Stellenbeschreibungen,
  • 21 % wollen spezialisierte Stellen mit Schwerpunkt auf KI ausschreiben,
  • 80 % sehen einen Bedarf an Weiterbildungsmaßnahmen im Bereich der KI, 
  • 87 % sehen in der KI eine Chance, dem Arbeitskräftemangel zu begegnen.

Die KI stellt jedoch große Herausforderungen an den Datenschutz, insbesondere für die Personalabteilung. Es ist daher ratsam, mit einer Auswahl an Anwendungsfällen zu beginnen, die keine sensiblen Personaldaten, aber ein hohes Nutzeraufkommen sowie eine hohe Verfügbarkeit und Qualität an Daten beinhalten. 

Wie viel Zeit sollten Mitarbeiter für digitale und analoge Lernformate aufwenden dürfen? Ist es nicht so, dass intensives Skills-Training häufig am Wochenende stattfinden muss?

Lernen am Arbeitsplatz ist ebenfalls eine gute Möglichkeit, neue Skills zu verbessern und zu erwerben, wobei Peer-to-Peer-Lernen die beste Praxis für das Lernen am Arbeitsplatz ist. Es ist jedoch von Vorteil, wenn zusätzlich formales Lernen stattfindet. Die 70-20-10-Regel besagt, dass Mitarbeitende 70 % durch Erfahrung am Arbeitsplatz, 20 % durch Interaktion mit Kollegen (informell) und 10 % durch Schulungen lernen.

Wie kann ein Unternehmen feststellen, ob der gewählte Ansatz für Skill-, Kultur- und Talentmanagement erfolgreich war? Gibt es KPIs oder Indikatoren?

Wichtige KPIs sind: Mitarbeiterbindungsrate, Mitarbeiterzufriedenheit. Auch die OKRs (Objectives & Key Results) spielen eine wichtige Rolle und sollten im Unternehmen verankert und mit den Zielen verknüpft sein.

Weitere KPIs wären: Nutzung von Lernangeboten im Unternehmen, Abschlussquote, Anzahl der „Talente“ und erfolgreich besetzte Positionen im Unternehmen (Nachfolgeplanung), Fluktuationsrate, Engagement-KPIs, Messung von Soft Skills in Leistungsgesprächen durch Führungskräfte, etc.

OKRs sind bereits Ziele = Zielvorgaben. Wichtig ist, dass die HR-Strategie auf die Unternehmensstrategie abgestimmt ist. OKRs können verwendet werden, um einzelne Ziele expliziter zu definieren und zu messen – einschließlich in Zahlen.

Letzte Frage: Wie muss sich Führung in einer Welt der Hyperconnectivity verändern?

Hyperconnectivity und digitale Ökosysteme beeinflussen Menschen und Unternehmen in hohem Maße. Um das Potenzial dieser Technologie effektiv nutzen zu können, bedarf es eines digitalen Mindsets als auch neuer Skills. Führungskräfte müssen sich der Herausforderungen und Chancen bewusst sein und die Art und Weise, wie sie Teams und Mitarbeitende führen, entsprechend anpassen. Insbesondere die Leitung hybrider oder dezentraler Teams erfordert einen anderen Führungsansatz.

Die Mitarbeitenden sind nicht mehr an Büroräume oder herkömmliche Arbeitszeiten gebunden. Die Auswahl aus einem globalen Talent-Pool sowie die Zusammenstellung unterschiedlicher Kompetenzausprägungen innerhalb der Teams sind ein Wettbewerbsvorteil, die jedoch eine dezentrale und hybride Führung erfordern. Da Teams zunehmend an unterschiedlichen Orten arbeiten, müssen Führungskräfte ihre Kommunikation neu überdenken. Wichtig ist, dass innerhalb der Teams ein Gefühl der Zugehörigkeit aufgebaut wird. Die Kommunikation in digitalen Umgebungen muss effektiv sein, um Missverständnisse zu vermeiden und die Zusammenarbeit zu fördern. Die Nutzung modernster Tools ist in Unternehmen mit Hyperconnectivity unerlässlich. Plattformen, Virtual Reality und Augmented Reality sind für die Arbeit von Remote- und Hybrid-Teams von großem Nutzen. Die Führungskräfte müssen jedoch auch für die ethischen Auswirkungen sensibilisiert werden. Dazu gehören Cybersicherheit und Datenschutz bei der Nutzung digitaler Tools und Daten, aber auch die Ethik der künstlichen Intelligenz, die soziale Verantwortung sowie die Auswirkungen der Technologie auf die Verdrängung am Arbeitsplatz sind Pfeiler der neuen Denkweise.

Exkurs: Hyperconnectivity-Readiness-Framework

Detecon hat dafür speziell das Hyperconnectivity Readiness Framework (HCRF) entwickelt – ein ganzheitliches, branchenunabhängiges Modell, das Unternehmen ermöglicht, die Komplexität der Hyperconnectivity effektiv zu meistern. Um dies zu erreichen, nimmt das Modell eine mehrdimensionale Perspektive ein und führt einen Sandwich-Ansatz innerhalb des Modells ein, der aus drei miteinander verbundenen Schichten besteht: Unternehmen, Gesellschaft und technologisches Umfeld (Abbildung 2).

 

Die Struktur des HCRF

Das HCRF (Abbildung 3) wurde so konzipiert, dass es sich flexibel an verschiedene Umgebungen, Kontexte und Anwendungsfälle anpassen lässt.

Im Kern besteht das HC Readiness Framework aus sechs Dimensionen, die die grundlegenden Elemente eines jeden Unternehmens darstellen, nämlich „Strategie & Innovation“, „Kunde & Ökosystem“, „Technologie & Konnektivität“, „Daten & KI“, „Operations, Risiko & Vertrauen“ und „Menschen & Wandel“. Das Modell liefert klare Definitionen für jede Dimension im Kontext der Hyperconnectivity und schafft ein gemeinsames Verständnis und eine effektive Zusammenarbeit zwischen Detecon und seinen Kunden.

Geht man in die Tiefe, werden die sechs Dimensionen in 6x6 Unterdimensionen unterteilt, was eine detailliertere Analyse ermöglicht. Jede Unterdimension ist mit konkreten Verbesserungsmethoden, Instrumenten und Leistungsindikatoren verknüpft. Zur Messung des Fortschritts innerhalb jeder Unterdimension wird eine Likert-Skala mit fünf Stufen verwendet, die von „trifft nicht zu“ bis „stimme voll zu“ reicht. Diese Skalierungsmethode ist aufgrund ihrer intuitiven Interpretation und ihrer Fähigkeit, eine genaue und qualitativ hochwertige Datenerfassung zu gewährleisten, weit verbreitet.